Mittwoch, 4. April 2012

Immer abends



                                         Bild: koer


Sie trafen sich immer abends bei der alten Kaufhalle, im Winkel des alten Ortsteiles, wo die Luft noch roch und die Sterne sichtbar waren. Sie waren immer ausgehungert von dem Tag, der in seiner unnachgiebigen Zähigkeit an ihnen gezerrt hatte. Und wenn das blaue Licht das rote ersetzte, trafen sie sich. Dann glitten sie durch die engen Gänge der Regale, die voll gestopft waren mit wächsernen Früchten, staubigen Broten und blutendem Fleisch. Und ihr Hunger kannte keine Grenzen, auch wenn ihr Speichel verdorrt war, wie ein Flussbett in der Wüste. Sie hatte ihren Tag damit verbracht, die Tropfen zu zählen, die sie zusammenhalten sollten, wie Klebstoff ein zerbrochenes Glas, das noch zu gut war, um es wegzuwerfen, aus dem man noch trinken konnte, wenn auch schnell, damit die Flüssigkeit sich nicht durch die Ritzen verflüchtigen konnte. Sie hatte ihren Tag damit verbracht, vor dem Rechner zu sitzen, damit irgendetwas passierte, damit sie diese Langeweile dazu trieb, etwas zu tun, damit sie ein Wort an das andere reihte, damit sich die Seiten füllten, damit sie ihren Eltern sagen konnte, ich habe etwas erreicht. Er hatte seinen Tag damit verbracht, die Jungtiere im Labor zu töten, ihre Schädel an Waschbecken zu zertrümmern, und obwohl er diese Arbeit mochte, keine Befriedigung darin fand. Er hatte seinen Tag damit verbracht, nicht an seinen Vater zu denken, der ihn einst genauso zertrümmert hatte. Während sie das blutende Fleisch von den Haken nahmen und in ihre Beutel packten, musste sie daran denken, wie sie ihn kennen gelernt hatte. Wie sie ihn kennen gelernt hatte im Labor der Universität. Wie das kalte blaue Licht seine dunklen Augenhöhlen nicht auszuleuchten vermochten, wie er sie immer fixierte, wenn er seine Proben in den Kühlraum brachte. Dann wünschte sie sich, mit ihren Fingern über seine Augenbrauen zu fahren und mit ihren Lippen seine Lider zu berühren, um diese Schwärze zu kosten. Sie wusste nicht mehr wie, aber sie kamen ins Gespräch. Über die Versuchsreihe, über ihre Eltern. Das könnten sie ein anderes Mal besprechen, antwortete er ihr auf ihre Offenheit, von der sie nicht wusste, warum sie einfach so aus ihr ausgebrochen war, wie sie sich durch die raue Kehle zwischen ihre Zunge und den Gaumen gepresst hatte. Die Taschen voll gepackt mit dem Fleisch gingen sie zu ihr, wo es heller war, wo es weiter weg war von der Stadt und dem Labor. Wo sie sich beide einzureden versuchten, dass sie einander halten konnten, wie der Klebstoff das Glas, das zerbrochen war, aber noch zu gut, um es wegzuwerfen. Und sie brieten das Fleisch in heißem Fett, wo sie still dem Brutzeln und Zischen zuhörten und die Spritzer beobachten, die sich auf den weißen Fliesen sammelten. Und sie beobachteten, wie das Blut sich braun zerklumpte und in dem Fett zu knusprigen, fast schwarzen Brocken wurde, aus denen sie ihm dann seine Zukunft lesen würde. Die Brocken waren immer das Beste, sie kratzten sie mit dem Messer aus der Pfanne aus, und aßen sie so gierig, dass ihnen das Fett an den Mundwinkeln über das Kinn heruntertriefte. Denn sie waren ausgehungert von dem Tag, der in seiner unnachgiebigen Zähigkeit an ihnen gezerrt hatte.

Text: meo

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